Seefahrt und Rueckkehr
Viele Autoren, die ich bewundere, waren Alkoholiker. Die meisten sind bereits tot. Es gibt ein unfreiwillig schönes Buch von Upton Sinclaire darüber, welche zerstörerische Kraft das Trinken besondern bei Schriftstellern entfalten kann (Der Becher des Zorns). Es ist das einzige lesenswerte Werk von Sinclaire und das leidenschaftlichste Plädoyer für den Alkoholismus, das ich jemals gelesen habe, insbesondere weil es von einem erklären Prohibitionisten stammt. Nach der Lektüre habe ich mir sofort einen Roman von Brendan Behan gekauft und Canada Dry zu trinken begonnen. Sinclaire versucht seine Leser mit dem Elend der zwar reichen und berühmten, aber unglücklichen Säufer abzuschrecken. Doch seine wirkliche Botschaft lautet: Es ist lohnenswert sich zu Tode zu saufen, um einmal so schreiben zu können wie Ernest Hemingway, Jack London, Dylan Thomas und F. Scott Fitzgerald. Drogenaufklärung ist immer zum Scheitern verurteilt, weil sie den Süchtigen in seiner tragischen Verstrickung zeigt und ihm damit eine Größe verleiht, die uns immer anzieht.
Aus einem winzigen Loch im Himmel bläst mit einem Mal ein milder Wind auf die Erde hinab als hätten die letzten vier Monate niemals existiert. Der März faltet die letzten Reste des Winters ein, den fleckigen Schnee im Rinnstein, den aufgetauten Müll, die Konservendosen, die Zweige, das angenagte Bein einer Puppe und die Kadaver der Amseln, an denen sich die Katzen nicht mehr vergreifen werden. Es ist vorbei. Sogar die aufgeweichten Zeitungen am Container scheinen ihre Seiten im Wind trocken zu wollen und hoffen auf Sonne. Dies ist jener allererste Tag im Jahr, an dem der Winter seine Kraft endgültig verloren hat. Es scheint als stünde der Kosmos für einen Augenblick lang still und erlaubte diesen Stunden wie ewige Kinder zwischen den Jahreszeiten zu verharren.
Die Schlaflosigkeit ist wie ein Freund, den man nicht nach Hause schicken kann, weil er zu viele schmutzige Geheimnisse kennt. Ich versuche ihn mit langweiliger Literatur, schlechter Musik und schwerem Essen zu vertreiben. Aber er lacht, lobt meine Gastfreundschaft und sagt, ich könne ruhig schlafen gehen, denn er fände auch allein den Weg zum Weinregal.
Nichts was mir jemals widerfahren ist, werde ich zurück nehmen können, weil die Spuren des eigenen Lebens unauslöschlich sind. Alles war ich tue, brennt sich ein in das Bildnis meiner Selbst, dass ich in einer Kammer vor mir selbst verberge, um nicht verunstaltet zu werden durch Habgier, Eintönigkeit und Angst. Aus diesem Grund habe ich heute mitten in einem Gespräch mit dem Vorstand meines Unternehmens meine Kündigung ausgesprochen und damit mein Leben als Manager beendet ohne zu wissen womit ich nun meinen Lebensunterhalt verdienen soll.
Vielleicht liegt es in den Genen. Mein Onkel ist viele Jahrzehnte lang durch die Welt gefahren ohne einen festen Bezugspunkt in seinem Leben zu haben. Meine Mutter hat mit dem Fahrrad ganz Europa und einige andere Kontinente durchquert. Ich selbst bin mit zwölf das erste Mal von zu Hause weg gelaufen und mit vierzehn allein auf Reisen gegangen. Immerhin bin ich damals bis nach Irland gekommen. Und immer wenn ich einen Bericht aus einem fernen Land höre, überfällt mich der Wunsch dort zu leben. Nicht zu verreisen. Auf einer Reise fliegen die Dinge vorbei ohne, dass man sie begreifen kann. Ein Land kann man erst verstehen, wenn man dort lebt.
Ich bin ein rastloser Bewohner dieses Planeten, denn ich sehe jeden Tag die Fülle der Dinge, die ich nicht getan habe und weiß, dass meine Zeit begrenzt ist.
Warum funktioniere ich im Chaos perfekt und bin in der Ordnung verloren?
In lagen Zügen schwimme ich in den Fluten eines warmen Ozeans, über mir wölbt sich der Sternenhimmel und in der winzigen Bugwelle, die ich vor mir hertreibe, spiegelt sich das Kreuz des Südens. Von den Hängen weht der Duft der Mimosen herüber und wenn ich den Kopf aus dem Wasser hebe, um Luft zu hohlen, glaube ich ihre Blüten zu erkennen, als wären sie ein dichtes Netz aus safranfarbenem Licht, das die Küste wie Nebel überzieht. Ich gleite dahin, den Kopf unter der Wasserlinie und blicke hinab in die Dunkelheit des nächtlichen Meeres und hoffe für einen Moment, dass ich für immer in der Stille meiner Atemlosigkeit verharren könnte ohne jemals das Ufer zu erreichen.
Ich lebe in der Tiefe einer ozeanischen Nacht und jenseits der Wellen höre ich meine eigene Stimme, die über alles lachen kann, was mich schmerzt.
In Deutschland überholt man nur, wenn auf der Gegenfahrbahn kein Auto zu sehen ist. Alles Andre gilt als wahnwitziges Risiko. In Ungarn wird überholt, wenn der Fahrer der Überzeugung ist, zwischen ihm und dem Entgegenkommenden sei genug Platz. Diese Einschätzung ist höchst subjektiv, aber alles über fünfzig Metern wird in der Regel vertretbar betrachtet. Dass man, bevor man die Gegenfahrbahn wieder verlässt, das Weiße im Auge des entgegenkommenden Fahrers sieht, ist als zwischenmenschlicher Kontakt eher willkommen. Schließlich will man wissen, wer gerade überlebt hat. Es hat einige Wochen und mehrere Hupkonzerte gedauert bis ich mein Fahrverhalten wieder den deutschen Verhältnisse angepasst hatte.